Viskosität von Farben und Lacken messen in Labor und Prozess
„Wer wüsste nicht, wie ungeheuer viel es im menschlichen Leben auf die bloße
Außenseite ankommt, welche Summe menschlicher Bestrebungen sich rein auf die Oberfläche der Dinge bezieht! Dem zu Folge arbeitet auch eine vielartige Menge technischer Zweige lediglich auf den Schein, auf Farbe und Anstrich. Bedürfnis und Luxus, oder vielmehr ein angeborener Farbsinn, ein besonderes Wohlgefallen an dieser oder jener Farbe führen den Menschen frühzeitig darauf, den Gegenständen seiner Umgebung durch Färben oder Bemalen eine andere, ihm bessere behagliche Außenseite zu geben.“
Zitat aus: Buch der Erfindungen, Gewerbe und Industrien; Ausgabe 1866; Leipzig
Lack, ein im ersten Moment äußerlich einfacher Stoff, ist mittlerweile ein high tech Produkt. Äußerst trickreich entwickeln die Lackhersteller hochkomplexe Lacksysteme mit für die jeweilige Anwendung optimierten Eigenschaften. Dies führt dazu, dass die Anforderungen an die Lacksysteme immer exakter eingehalten werden müssen damit sie bei der Anwendung, Aufbereitung und Verarbeitung gleich bleibende Qualität liefern. Auch der Anwender möchte immer enger werdende Toleranzen, denn Material einsparen spart auch Geld. Die Anforderungen an die Qualität müssen dabei natürlich eingehalten werden.
Bedingt durch die Komplexität solcher Lacksysteme müssen die eingesetzten Lackchargen regelmäßig rheologisch kontrolliert werden. Dies kann durch erhöhtes Arbeitsaufkommen im Labor oder durch den Einsatz kontinuierlicher Messtechnik erfolgen.
Historie der Lacke
Die Verarbeitung von Leinölfirnis ist zuerst im 12. Jahrhundert von dem Mönch Theophilius beschrieben worden.
1865 fand in Dublin die erste internationale Ausstellung von Lackharzen statt. Zu dieser Zeit waren nur 33 verschiedene Lackharze bekannt. Sie traten zu den von alters her bekannten Erdfarben und Mineralpigmenten hinzu, welche durch die synthetischen Farbstoffe auf der Basis des von Friedrich Runge (1795 – 1867) aus dem Steinkohlenteer isolierten Anilins gewonnen wurden. Durch systematische wissenschaftliche Forschungen wurden immer weiter neue „Anilinfarben“ und später auch Farbstoffe auf anderer Basis entdeckt. Beim Indigo konnte Adolf von Bayer (1835 – 1917) erst nach jahrzehntelanger Arbeit die Konstitution aufklären und die Synthese durchführen.
Geschichtliche Entwicklung industriell verwendeter Lacke
Nach dem ersten Weltkrieg mussten Farben und Lacke von der chemischen Industrie für den Masseneinsatz hergestellt werden. So entstanden:
1920 Nitrocellulose
1925 lufttrocknende Systeme
1940 thermoplastische Acrylate
1970 2K – Isocyanate
1980 High Solids
1990 Wasserbasis
Gleichzeitig mit der Entwicklung der einzelnen Farb- / Lack – Systeme mussten auch
die entsprechenden Verarbeitungs- und Handhabungssysteme, d.h. von der handgeführten Spritzpistole hin zur vollautomatischen Beschichtungsanlage entwickelt werden.
Heutige Lacke
Die rheologischen Anforderungen an einen industriell verwendbaren Lack sind stark von der Art seiner Verarbeitung abhängig. Es sollen die gleichen Beschichtungsresultate (Aussehen nach der Applikation) bei unterschiedlicher Auftragungsart erzielt werden. Beispiel: Reparaturlack. Normalerweise wird der Lack in einer Lackieranlage unter konstanten Randbedingungen durch eine Düse aufgespritzt. Im Reparaturfall aber von Hand mit einem Pinsel aufgetragen, soll er das gleiche äußerliche Aussehen haben wie der Originallack aus der Lackstraße. Dies bedingt für den Hersteller solcher Lacke, dass er unterschiedlichste rheologische Anforderungen erfüllen muss.
Die Scherbelastung des Lacks beim Spritzen durch eine Düse ist um ein vielfaches höher als beim Auftrag mit dem Pinsel. Um eine gleichmäßige Oberfläche zu bilden, muss der Lack auch bei der geringen Scherbelastung durch den Pinsel noch ausreichend lang viskos bleiben, damit er verläuft.
Dies erfordert ggf. auch die Entwicklung und Herstellung verschiedener Lacksysteme. So unterschiedlich wie seine Applizierung, Auftrag über Pinsel, Pistolen, Walzen, Siebe usw., so unterschiedlich sind natürlich auch die verwendeten Trägermaterialien, Papier, Kunststoffe, Metalle u. a.. Auch hierzu sind dann jeweils entsprechende Systeme zu entwickeln. Die Kenntnis der rheologischen Eigenschaften des Lacksystems ermöglicht Aussagen z. B. zur Oberflächenausbildung. Beispielsweise kann aus einer Fließkurve des Lackes bereits erkannt werden, ob sich an senkrechten Flächen Ablaufnasen bilden oder der Pinselstrich sichtbar bleibt.
Das heißt für die Anforderungen an den Lack:
• im Ruhezustand hochviskos
• bei Scherbeanspruchung niederviskos
• nach einer Scherbeanspruchung dann zeitverzögert wieder hochviskos.
Ein so hergestellter Lack kann dann manuell wie auch automatisch verarbeitet werden und zeigt einen guten Verlauf in der Trocknungsphase, was zu einer einheitlichen Oberfläche führt.
Die internen Bindungskräfte und Struktureigenschaften des Lackes, zusammen erfasst in der Lackviskosität sind also einerseits abhängig vom Schergefälle, von der Scherbeanspruchungszeit und von der Art der Vorscherbelastung. Schergefälle: Leitungsquerschnitt zu Düsendurchmesser
Scherbeanspruchungszeit: Umpumpzyklen in einer Ringleitung, Verweilzeit in einer Stichleitung ohne Abnahme, Vorscherung: Aufrühren des Gebindes, Pumpen und Stellorgane in der Zuleitung zum Einsatzort.
Lacke messen
Die rheologischen Eigenschaften von viskoelastischen Lacken können bei der Entwicklung der Lacke exakt nur im rheologisch ausgerüsteten Labor mittels Oszillationsrheometern bestimmt werden. Sollen bestehende Lacksysteme in einer anderen als der entwickelten Art appliziert werden, so können mit oszillationsrheologisch gewonnenen Messkurven Aussagen gemacht werden, ob und in welcher Art diese Lacksysteme nun den neuen Anforderungen genügen.
Der Anwender hingegen will nur die von ihm gewünschten Eigenschaften überprüfen. Die Messung der Viskosität der heute üblichen Lacksysteme ist mit Hilfe eines Auslaufbechers nicht möglich, auch wenn diese Messart noch weit verbreitet ist. Diese Art von „Messsystem“ liefern nur einen ungenauen und groben Überblick und so ermittelte Werte können höchstens zur Orientierung dienen. Die vom Anwender geforderte punktuelle Kontrolle des Lackes wird im Besonderen bei der Wahreneingangskontrolle immer notwendiger, denn bedingt durch die „just in time“ Lieferung des Produkts bleibt dem Anwender in der Produktion keine Zeit zur Einstellung des Lacks. Eine solche Überprüfung, der vom Anwender gewünschten Fließeigenschaften, erfüllt die Aufnahme einer Fließkurve mit einem geeigneten Rotations – Rheometer, so z. B. mit dem eingeführten Rheomat R180. Dieses Gerät bietet die ideale Kombination zwischen einfacher Handhabbarkeit und differenzierter rheologischer Untersuchungsmöglichkeit durch Aufnahme einer Fließkurve.